Gestern, kurz vor der Podcastaufnahme, ruft Walter an. „Ich kann jetzt nicht“ raune ich in das Telefon. Generell mag ich ja keine unangekündigten Anrufe – genauso wenig wie unangekündigten Besuch. Das finde ich übergriffig. Man muss sich in diesem Fall nämlich kurzerhand Zeit freischaufeln und die ohnehin überall hin fließenden Gedanken forcieren und sich auf dieses eine Gespräch konzentrieren.
„Du kannst“ antwortet Walter forsch. „Ich habe heute ein Kickl Wahlplakat übermalt“. „Ach so“ entgegne ich. „Hast du ein Hakenkreuz hingekritzelt? Hast du ein Reich, ein Führer dazugeschrieben. Hast du das Euer durchgestrichen und daraus ein Mein Wille geschehe gemacht?“
„Nein papperlapapp, das ist mir alles zu billig. Und das ist auch zu kurz gedacht. Und außerdem, ist das genau das was die FPÖ Wähler ja auch lesen wollen. Sie wollen ja einen Führer, dessen Wille geschieht.“ Walter macht eine Pause. Eine lange Pause. Ich will schon die Gelegenheit nutzen, mich verabschieden und zum Schreibtisch setzen.
„Und Hakenkreuze“, fährt er fort, „male ich nur auf ÖVP Plakate. Deren Wählen wissen meist noch nicht, dass auch die Schwarzen insgeheim faschistische Allmachtsphantasien haben.“
„Das warst also du?“ frage ich verwundert.
„Natürlich, wer sonst? Jetzt aber zu den Kickl Plakaten. Ich habe sein erbärmliches Der Einzige auf Eurer Seite gewählt. Man muss sich nämlich schon fragen, wenn er der einzige auf unserer Seite ist, was ist dann mit den anderen FPÖlern? Sind dich auch gegen uns? Es ist ja fast rührend. Ein einsamer Retter, der sich als letzte Bastion gegen… gegen wen eigentlich? Die eigene Partei? Offenbar kann man den Rest der FPÖ nicht mal mit in den „Schutz der Bevölkerung“-Mythos einbauen, weil sie selbst keinen Deut besser sind.“
„Ähm!“. Ich will der Ausführung ein Ende bereiten. Ich will podcasten und Alex wartet schon. Aber Walter fährt fort:
„Unterbrich mich nicht! Es ist, als hätte Kickl eine Selbsthilfegruppe gegründet, wo er der einzige Teilnehmer ist. Ich, Herbert Kickl, bin der Einzige, der Euch vor der Übernahme durch… durch die grausame Realität schützt. Was für ein zutiefst armseliger Versuch, sich als Heiland zu inszenieren. Und seine Parteikollegen? Tja, entweder sind sie auch Feinde oder einfach zu unfähig, um Teil seiner heldenhaften Vision zu sein. Aber was kann man erwarten von einer politischen Bewegung, die sich bei jedem Schritt selbst überholt, wenn es darum geht, den rechten Rand noch weiter nach rechts zu verschieben? Jeder Versuch, sich als der letzte aufrechte Kämpfer gegen das vermeintliche Establishment darzustellen, wird irgendwann zur Farce, wenn das eigene Fundament aus Hetze und Spaltung besteht.“
„Und was hast du nun auf das Plakat geschmiert?“ frage ich verwundert.
„Ja das!“
„Was?“
„Genau das, was ich gerade gesagt habe. Zugegeben, wenn man mit dem Auto vorbeifährt wird man es nicht lesen können. Es ist viel Text und es ist recht klein geschrieben. Wenn man dran vorbeispaziert, kann man aber genau das lesen. Und von Weiten…“.
„Was von Weiten?“. Ich bin immer noch irritiert.
„Und von Weiten sieht es aus wie ein verficktes Hakenkreuz!“
Er legt auf. Ich starre auf das Handy. Ich bin 10 Minuten zu spät.